Gebäude 60: Energieeffizient und intelligent dank integraler Planung Wie integrale Gebäudeplanung und Digitalisierung den Hochbau revolutionieren.
Kurzfassung
Parallel zum stetig höheren Anspruch an Effizienz, Komfort und Vernetzung in der Gebäudewirtschaft, wandelt sich der Planungsprozess gravierend – und wird integral. Wie so eine integrale Gebäudeplanung aussehen kann und warum dafür alle Akteure am Bau frühzeitig eng zusammenarbeiten müssen, zeigt der Blick in die Praxis.
Phoenix Contact hat am Hauptsitz Blomberg 35 Millionen Euro in ein neues Gebäude investiert, das eine Nutzfläche von etwa 18.500 m² Raum für 400 Arbeitsplätze bietet – dieses trägt die Nummer 60, ist 2023 eingeweiht worden und setzt einen Meilenstein in puncto Nachhaltigkeit: Durch bidirektionale Kopplung sämtlicher Energieströme stehen im Gebäude 60 alle energieerzeugenden und energieverbrauchenden Teilnehmer in einem elektrischen, thermischen und kommunikativen Verbund. Es dient damit als Blaupause und erlebbarer Beleg für eine realistische All Electric Society – eine Welt, in der CO₂-neutral gewonnene Elektrizität die zentrale Energieform darstellt.
Keine Vernetzung ohne integrale Planung
Gebäude sind heute weit mehr als das Dach über dem Kopf. Diese Aussage findet ihren Beleg in einer Vielzahl weiterer Funktionen, die im Zuge einer Sektorenkopplung über die bekannten Aufgaben wie Leben, Arbeiten, Produzieren oder Lagern hinausgehen. Bei der Sektorenkopplung innerhalb einer All Electric Society stehen zukünftig immer mehr Gebäude in direkter Verbindung zu regenerativen Energieerzeugungssystemen, Ladesäulen, Produktionsmaschinen sowie elektrischen Speichersystemen. Auch für das Gebäude 60 von Phoenix Contact gilt: Die Vernetzung unterschiedlicher Aufgaben und Sektoren lässt sich nur mit Hilfe integraler Planung realisieren.
Für Florian Brandstetter bildet die ganzheitliche Betrachtung von Ökonomie, Ökologie und Sozialkultur den Kern der integralen Gebäudeplanung. Um dieses zu erreichen, verlässt der auf Industriegebäude spezialisierte Architekt aus Bad Pyrmont „die chronologisch geprägte, konventionelle Planung“. Stattdessen spricht Brandstetter von einem Planungsprozess, der von Beginn an möglichst alle Baubeteiligten an einen Tisch“ bringt. „Das differenziert ganz klar die Zusammenarbeit im Vergleich zur Vergangenheit.“ Konflikte aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen hat der Architekt in seinem Tätigkeitsbereich bis dato nicht feststellen können, wohl aber eine veränderte Rolle seines eigenen Berufsbilds. „Wir haben immer noch die Verpflichtung, ein Bauprojekt zu koordinieren. Wir haben dazu aber auch immer mehr Stellräder, an denen wir in der Umsetzung drehen können. Und wir müssen mehr wissen, um als Architekt auf Augenhöhe mitdiskutieren zu können.“ Hier spricht Brandstetter vor allem von der technischen Gebäudeausstattung (TGA), die bei nachhaltig konzipierten Hochbauten wie dem Gebäude 60 in Blomberg, einen immer größeren Stellenwert einnimmt. „Für uns Architekten ist das ohne Frage eine neue Herausforderung.“
Planungsphasen parallel und entkoppelt
Das frühzeitige enge Miteinander verändert ebenfalls die Arbeit der TGA-Experten. „Wir warten nicht mehr, bis wir einen fertigen Architektengrundriss bekommen“, erklärt Matthias Harland, Projektverantwortlicher bei ELPLAN. Das Unternehmen aus Minden erhielt von Phoenix Contact den Auftrag für die TGA-Konzeption.
Die neue Herangehensweise macht zudem eine modulare Planung möglich – was unter dem Strich Zeit spart. Als Beleg dafür nennt Matthias Harland die von der Gebäudearchitektur entkoppelte Planung des Energieerzeugungssystems. „Wir konnten frühzeitig damit starten, welche Technik für das Gebäude am besten geeignet ist. Wir haben erst über Geothermie nachgedacht und sind dann schließlich bei einer Kombination aus Wärmepumpe und Eisspeicher gelandet.“
„Wenn ich ein energieeffizientes, intelligentes Gebäude bauen und nutzen will, geht das nur mit einer integralen Planung“, betont auch Matthias Unruhe aus dem Sichtfeld des Bauherrn heraus. Daher muss „das Zusammenspiel zwischen Architektur und Technik einfach passen“. Der Gruppenleiter Technical Engineering im Facility Management am Standort Blomberg berichtet zudem, dass sein Unternehmen bei der Integration über die Technik hinaus noch einen Schritt weiter gegangen ist. Phoenix Contact hat die späteren Nutzer aktiv in die Planung eingebunden. „Wir haben Wünsche abgefragt. Dabei kamen wirklich gute Ideen zu Tage, die jetzt umgesetzt werden. Das war ein sehr interessanter Prozess.“ Unter der Überschrift „New Work“ hat Phoenix Contact zum ersten Mal so eine Nutzerbefragung unternommen.
Was der Spülkasten an Informationen liefern kann
Die Bündelung ganz unterschiedlicher Einzeldisziplinen in einer gemeinsamen Planung führt dazu, dass Gebäude nachhaltig, flexibel und clever sind. Doch was steckt im Detail hinter smarten Lösungen? Welch greifbarer Nutzen lässt sich mit der Digitalisierung erreichen, damit das Ganze nicht zu einer abstrakten Worthülse verkommt.
Matthias Harland nimmt als Beleg im Gebäude 60 die Anbindung sämtlicher Sanitärarmaturen an die Gebäudeleittechnik. Dieses fokussierte Beispiel mag auf den ersten Blick recht speziell erscheinen, zeigt aber beim näheren Blick die ganze Dimension, was Sensorik und Steuerungsfähigkeit in der Gebäudewirtschaft in der Lage ist, zu leisten. Zunächst liefern die Armaturen schlichtweg Daten über Wasserverbräuche und Spülzeiten. Die wiederum sollen keine Rückschlüsse darüber liefern, wie häufig die Belegschaft die Sanitärräume nutzen. Wohl aber lassen sich daraus Informationen gewinnen, welche Räume in welcher Frequenz genutzt werden – und welche vielleicht nur vorhanden sind. „Diese Information ist für uns sehr wertvoll für die Hygiene im Netz“, sagt Matthias Unruhe. „Wir sehen, wo ausreichend Wasser gezapft wird und ebenfalls, wo sich Probleme als Folge stehender Wasserstränge ergeben können.“
Flexible Nutzung auch nach Jahren
In eine ähnliche Richtung gehen die Ziele bei den geplanten Besprechungsräumen. Mit der Auswertung von Sensordaten lässt sich nach Auskunft von Matthias Unruhe exakt ermitteln, ob gebuchte Räume später auch wirklich genutzt werden und vor allem, welche in der Gunst der Belegschaft ganz oben rangieren. „Hier kann ja die Nähe zu einer Kaffeeküche schon den Ausschlag geben.“ Die Folge auch hier: Sind geeignete Daten durch die Digitalisierung des Gebäudes vorhanden, hat das Facility Management die Chance, daraus Informationen zum Nutzungsverhalten zu generieren.
„Wir erkennen präferierte Zonen und haben auf dieser Basis die Möglichkeit, steuernd einzugreifen.“ Das kann spätestens bei ersten räumlichen Umstrukturierungen dazu führen, Räume gezielt einer Umnutzung zu unterziehen. Auf diese Weise sind Gebäudebetreiber also in der Lage, den verfügbaren Raum effizienter zu nutzen. Abseits der Möglichkeiten, die die Digitalisierung generell bietet, muss das Gebäude für Nutzungsänderungen aber auch baulich-konstruktiv flexibel sein, ohne dass dafür gravierende wie kostspielige Komplettumbauten notwendig sind.
Ausblick: Energieflüsse übergreifend harmonisieren und bilanzieren
Als weiteres Ziel arbeitet Phoenix Contact daran, das Gebäude 60 über die äußere Hülle hinaus innerhalb der kompletten Liegenschaft in Blomberg zu vernetzen. So lassen sich z. B. Energieflüsse übergreifend harmonisieren und bilanzieren. Auch hier greift ein weiteres Mal die All Electric Society, die Phoenix Contact mit Blick auf die Nachhaltigkeit mit zum Unternehmenszweck erklärt hat. Es geht darum, einen Meilenstein in der Gebäudetechnik setzen und dabei Raum schaffen, in dem es Spaß macht, zu arbeiten. Zudem lässt sich während der Betriebsphase nachhaltige Technik hautnah erleben. Für das Unternehmen aus Ostwestfalen-Lippe stellt das Gebäude 60 deshalb auch eine wichtige Blaupause dar – also ein reales Gebäude mit viel Potenzial kopiert zu werden.
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